José Mourinho spaltet die Fußballszene. Für die einen ist er der größte Star des Weltfußballs, für die anderen einfach nur ein arrogantes Ekel. Achilles-Running-Redakteur Frank Joung hat den 48-Jährigen in Madrid getroffen – beim Probetraining.
Der beste Trainer der Welt will nicht laufen. “If I run, I’m dead”, sagt er. Wenn ich laufe, sterbe ich. José Mourinho lächelt und klopft mir auf die Schulter: “Lauf du für mich”, soll das wohl heißen. Ich sprinte auf den Platz, auf dem sonst Cristiano Ronaldo seine Kunstschüsse übt.
Frühlingshafte Luft weht durch die “Ciudad Real Madrid”, die “Real-Madrid-Stadt”, wie das Trainingsgelände ganz bescheiden heißt. Sonnenschein, acht Grad plus, blauer Himmel. José Mourinho betritt als Letzter den teppichweichen Rasen. “Ich bin immer der Letzte, der auf den Platz geht”, sagt er. “Ich bin abergläubisch.”
José Mário dos Santos Félix Mourinho, 48 Jahre alt, Trainer von Real Madrid, ist derzeit vielleicht der größte Star des Weltfußballs. Seine Mannschaften räumen serienweise Meisterschaften und Pokale ab, im Sommer gewann Mourinho die Champions League, den wichtigsten Titel im Vereinsfußball. Erst kürzlich wählten ihn Fachleute zum “besten Trainer der Welt” – mal wieder. Heute sind wir – zwei Handvoll Presseleute aus Italien, Spanien, Portugal, England und Deutschland – sein Team. Zumindest für eine halbe Stunde. Ein Sportartikelhersteller hat zum Probetraining eingeladen.
“The Special One” gibt sich locker
Auf dem Rasen geht mir durch den Kopf, wie Franz Beckenbauer einmal schimpfte: “Mourinho ist flegelhaft und unverschämt.” Weil der Portugiese gern mal gegen Schiedsrichter, Gegenspieler und Konkurrenten austeilt. Pressefritzen hat er sowieso gefressen. Also Leute wie mich. Wie beruhigend.
“Wenn ich die Medien treffe, ist das für mich schon Teil des Spiels”, hat Mourinho mal gesagt. Zu diesem Spiel gehört auch, dass Mourinho die Selbstinszenierung liebt. Er kultiviert die Aura der Arroganz, die ihn umweht. Seinen Spitznamen – “The Special One” – hat er sich selbst gegeben. “Bezeichnen Sie mich bitte nicht als arrogant, aber ich bin ein europäischer Champion, und ich denke, ich bin etwas Besonderes.” Wie, bitteschön, hält man es aus mit so einem Großkotz?
“Wenn ihr nach fünf Minuten nicht zusammenbrecht, ist es kein gutes Training”, sagt Mourinho in der Kabine. Er lächelt – und wir lachen mit. Mourinho spricht in knappen, fast genuschelten Sätzen. Mimik und Gestik sind sparsam. Manchmal hebt er die Augenbrauen, beim Lächeln zeigt er kaum Zähne. Er sagt Sätze wie: “Ich glaube an Vertrauen, aber manchmal muss man die Spieler auch kontrollieren und anleiten.” Was Fußballtrainer eben so sagen.
Die Journalist*innen richten Mikro, Diktiergerät oder Kamera auf ihn. Jedes Wort wird festgehalten. Wie bei einem Staatsoberhaupt. Beim Training steht Mourinho an der Mittellinie, braungebrannt, offene Winterjacke, die grauen Haare zur Seite gescheitelt. Er schaut zu, wie sein Team über den Rasen trabt, eine Hand steckt in der Hosentasche – die typische Mourinho-Haltung.
Wir sind hier, um einen neuen, kleinen Trainingscomputer zu testen, doch bald umkreisen alle nur noch Mourinho, um einen Blick, einen Kommentar von ihm abzubekommen. “Alles klar?”, fragt er in die Runde. “The Special One” gibt sich locker, kumpelhaft, fast herzlich. Er schlendert in die Mitte des Platzes, redet mit einem Assistenten auf Portugiesisch, beantwortet Fragen auf Englisch, gibt ein Fernsehinterview auf Spanisch. Er posiert für Fotos, schreibt Autogramme.
Nach einer läppischen Viertelstunde Dauerlauf ist das Training schon vorbei. Mourinho klopft mir auf die Schulter. “Du bist fit”, sagt er. Ich bin überrascht, geschmeichelt, sogar ein bisschen stolz, sage aber: “Nein, bin ich nicht.” Mourinho hebt eine Augenbraue. Meine Bemerkung ist mir sofort peinlich, am liebsten würde ich jetzt eine Strafrunde drehen. Ich tue wenigstens so, als würde ich mich dehnen.
Seine Spieler lieben ihn
Mourinho hat Berühmtheiten wie Ibrahimovic, Ballack oder Sneijder trainiert. Jetzt veredelt er bei Real Madrid die deutschen Hoffnungen Khedira und Özil. Die Spieler, seine Spieler, lieben ihn. Real-Verteidiger Marcelo sagt: “Er ist für uns alle wie ein Vater, er verteidigt uns bis zum Tod.” Wer Mourinho persönlich begegnet, kann solche Verehrung nachvollziehen, ein bisschen jedenfalls. Der Mourinho in Trainingskleidung ist ein Motivationsfuchs und Menschenfreund. Er wirkt wie der freundliche, respektvolle Zwillingsbruder des Ekelpakets, das man aus dem Fernsehen kennt.
“Ich versuche jedem im Team das Gefühl zu geben, dass er dazugehört”, sagt er. Geld und Ruhm seien ihm egal. “Fußball und Familie – das ist mir wichtig.” Für ein paar Augenblicke vermittelt er das Gefühl, wir Medienleute gehörten zu seiner Mourinho-Welt dazu – auch wenn das letztlich nur Teil eines routinierten PR-Termins ist. Er ist unser Trainer, wir sind seine Mannschaft. Klar, das Training war vor allem eines: eine gute Show. Ich fühle mich trotzdem schon viel fitter. Es war wohl die effektivste Einheit der Welt: Topfit und hochmotiviert, nach 15 Minuten Dauerlauf – und zwei Schulterklopfern von “The Special One”.
Die Assistent*innen halten die Tür auf, Mourinho muss weiter, verabschiedet sich mit festem Handschlag und knappem Lächeln, eine Hand in der Hosentasche. “Bye. – Adiós.” Dann geht er – zu seinem nächsten Team.